Vom Schwarmtunnelblick der Herde

16. Feb 2017 | Blog

VON Günther Moosbauer

Die Schwarmintelligenz hat schon so manchen Kolumnisten zum Schwärmen angeregt. Beispielhaft für die Idee dahinter stehe hier die Millionenshow, bei der den Teilnehmern die Möglichkeit zur Verfügung steht, über eine Publikumsbefragung die Antwort zu finden. Die Trefferquote liegt dabei bei stolzen 91%. Die besten Ergebnisse werden bei Schätzfragen gewonnen, die auf eine Zahlenantwort abzielen, schlechter werden die Ergebnisse bei Ja/Nein Fragen. Das Setting setzt stets die Unabhängigkeit der Entscheidungsfindung der Individuen im „Schwarm“ voraus. Der gezielte Bruch dieser Bedingung soll hier das Thema sein und uns zum Herdenverhalten führen.

 

In der Security KAG haben sich dafür Mitarbeiter bereit erklärt, eine Studie zu diesem Thema zu replizieren.* Dem Sample von 12 Teilnehmern haftet keine statistische Repräsentativität an, aber es soll helfen, die Anschaulichkeit zu erhöhen. Die Schätzfragen sind so gewählt, dass das Vorliegen von Expertenwissen unter den Teilnehmern unwahrscheinlich ist:

 

1. What is the population density in Switzerland in inhabitants per square kilometer?
2. What is the length of the border between Switzerland and Italy in kilometers?
3. How many more inhabitants did Zurich gain in 2006?
4. How many murders were officially registered in Switzerland in 2006?
5. How many rapes were officially registered in Switzerland in 2006?
6. How many assaults were officially registered in Switzerland in 2006?
 
Falls Sie selbst versuchen möchten, die Schätzfragen zu beantworten, so finden Sie am Ende des Blogs die Auflösung.

Der Ablauf der Studie war in drei Phasen gegliedert:
1) Die Fragen wurden unabhängig von jeder Person beantwortet.
2) Unter der Informationsvorgabe, wie die anderen Teilnehmer im Durchschnitt geantwortet haben, wurden die Fragen nochmals beantwortet.
3) Unter der Informationsvorgabe über die Schätzantworten aller Teilnehmer (anonymisiert) zu jeder Frage wurden die Fragen ein drittes Mal beantwortet.

 

Die Autoren der von uns replizierten Studie, Jan Lorenz und Heiko Rauhut, interpretieren ihr Ergebnis folgendermaßen: „Unsere experimentellen Ergebnisse zeigen, dass sozialer Einfluss (gemeint sind die Zusatzinformationen in 2) und 3)) Konvergenz der einzelnen Schätzungen zur Folge hat und die Vielfalt der Gruppe erheblich reduziert, ohne die Genauigkeit zu verbessern.“

 

Denkt man an das Gesetz der großen Zahlen, demzufolge sich der Mittelwert einer großen Zahl von Schätzungen dem tatsächlichen Wert annähert und dessen Streuung verschwindet, so ist der Effekt der Schwarmintelligenz mit dieser stochastischen Gesetzmäßigkeit ausreichend erklärt. Ja/Nein Fragen müssen demgemäß schlechtere Ergebnisse zeitigen, da etwa ein Durchschnittswert von 0.6 (bei einer Kodierung von 0 für Nein und 1 für Ja) zu „Ja“ „aufgerundet“‘ werden muss, um eine Antwort des „Schwarms“ auf die Frage zu erhalten - die volle Nutzbarkeit des Gesetzes der großen Zahlen wird dabei sabotiert.


In den Durchgängen 2) und 3) der Studie wird die Voraussetzung des Gesetztes der großen Zahlen - die Unabhängigkeit der Einzelschätzungen - aufgegeben und die Aussage: „Der Mittelwert nähert sich dem wahren Wert“, ist nicht mehr gültig.

 

Jan Lorenz spricht vom Schwarmtunnelblick und meint eine Meinungsvielfalt, die sich um einen vom wahren Wert abweichenden Wert gruppiert und bereits so homogen ist, dass der wahre Wert nicht einmal mehr umfasst wird.

 

Zum stochastischen Effekt tritt in der Originalstudie noch jener auf, der in Behavioural Finance als (Over-)Confidence Effekt bezeichnet wird. Er bedeutet, die Tendenz in ähnlichen Schätzungen anderer Teilnehmer eine Bestätigung der eigenen Schätzmeinung zu sehen, auch wenn die Schätzmeinung weit vom wahren Wert abweicht.

 

Unsere Replizierung hielt sich streng an die Originalstudie. Die einzige Abweichung war, dass als Motivation zur Studienteilnahme nicht Geld angeboten wurde, sondern subtil und mit Feingefühl eine ordentliche Tracht Prügel in den Raum gestellt wurde.**


Die nicht repräsentative Stichprobengröße ließ den negativen Einfluss von statistischen Ausreißern in der Durchschnittswertberechnung jedoch deutlich hervortreten. Die Durchschnittsschätzungen (Schwarmintelligenz, Wisdom of the Crowd) waren entgegen der Originalstudie nicht die besten Schätzer. Nur ein unseriöser Kniff, die schlechteste Schätzung in jedem Durchgang als Streichresultat nicht in die Wertung aufzunehmen, hätte zum erwarteten Ergebnis geführt. Die Schwarmintelligenz hätte an Homogenität zugelegt und wäre gleichzeitig stärker von der tatsächlichen Antwort abgewichen.


Fragestellungen, ob die Teilnahmemotivation zu subtil ausgeführt wurde oder ob Auswertungskniffe taugliche Instrumente des Erkenntnisgewinns sind, werden in der Literatur ausnahmslos verneint. Einzig Russland hat vor zwei Wochen ein Gesetz verabschiedet, das einmaliges Verprügeln pro Jahr ohne sichtbare Folgen in einer Familie (und als solche versteht sich die Security KAG) Straffreiheit zusichert.*** Und wer würde Russland eine hohe Motivation zur Vermeidung von statistischen Meinungsausreißern absprechen? Aber um die Anerkennung von Kreativität im Design und der Auswertung von Studien steht es nun mal schlecht und wir lassen davon ab, unsere replizierte Studie in den Rang akademischer Würden zu stellen.


Herdenverhalten bezeichnet nun eine bereits ausgeprägt homogene Entscheidungsverteilung einer Gruppe. Voraussetzungen sind dabei eine Situation der Informationsasymmetrie und vorausgehende Vorgaben an Teilinformationen wie in unserer Studie. Typischerweise sind hier die maßgeblichen Effekte der „majority effect“ und der „expert effect“. 

 

Einer Studie über die Güte der Vorhersagen zum Wirtschaftswachstum gelangte zu dem Ergebnis, dass die Abweichungen zum tatsächlich eingetretenen Wachstum und die Streuungsbreite der Schätzwerte für lange Vorhersagezeiträume eine negative Korrelation aufwiesen.**** Ein analoges Ergebnis, also wie jenes von Jan Lorenz und Heiko Rauhut, unserer Ausgangsstudie.

 

Für die Veranlagung von Wertpapieren ist es schwierig, Herdenverhalten explizit nachzuweisen. Gleiches Kaufverhalten vieler Marktteilnehmer ist nicht notwendigerweise auf Herdenverhalten zurückzuführen. Aus Informationen zu einem Wertpapier können viele Ver-/Kaufsentscheidungen resultieren. Ebenso unterscheiden sich Veranlagungsstrategien unter den Marktteilnehmern, sodass auch bei gleicher Interpretation der Informationen nicht die gleichen Konsequenzen gezogen werden. Eine experimentelle Studie deutet darauf hin, dass die Häufigkeit von Herdenverhalten überschätzt wird.*****


Wenn nun die Heilsbotschaft sein könnte: „In Gruppen, die wirklich weise agieren, müssen ihre Teilnehmer sozial völlig unbeeinflusst sein“, so steht man schnell vor der wenig ergiebigen Frage, wie die Teilnehmer sozial unbeeinflusst zu ihren, im besten Falle, Expertenwissen kommen sollen. Die Selbständigkeit in der Meinungsbildung ist jedenfalls von hohem Wert, um die Wisdom of the Crowd hoch zu halten. Die volle Transparenz um die Eigeninteressen hinter angebotenen Informationen und die unabhängige Kontrollierbarkeit der Informationsquellen sind Voraussetzungen. Das gelernte Misstrauen etwa zu publizierten Meinungskräfteverteilungen ist aber vermutlich ebenso ein wirksames Mittel.


In der Veranlagung hat die Wisdom of the Crowd bereits seit langem einen Namen – die Diversifikation bzw. der quantitative Nachweis vermuteter Effekte. Die Überlegenheit gegenüber Bauchgefühlentscheidungen („Wisdom of the Belly“ ******) ist schon lange entschieden.


Seit ich aber das klar diversifizierend wirkende Wein auf Bier, sowie beim nächsten Mal das Bier auf Wein experimentell ausprobiert habe, bin ich unsicher geworden. Vielleicht ist das Bauchgefühl doch dem experimentierinteressierten agilen Intellekt überlegen. Und da fällt mir auch ein, dass man im Sinne der Vermeidung des Schwarmtunnelblicks ohnedies bewusst weit von der Norm abweichen soll, um die heterogene Meinungsvielfalt wiederherzustellen. Ich werde aus Bauchgefühlgründen auch nur mehr dem Spruch: „Gin auf Wein geht auch noch rein“ trauen, alles andere sind ja eh nur diese Fakes und dubiosen Alternativfakten.

 

* http://www.pnas.org/content/108/22/9020.full.pdf

** zur Teilnahmemotivation wurden dann doch Faschingskrapfen gewählt.
*** http://derstandard.at/2000051629659/Russland-Eine-Tracht-Pruegel-pro-Jahr-und-Haushalt-ist-kuenftig

**** Social Learning, Strategic Incentives and Collective Wisdom: An Analysis of the Blue Chip Forecasting Group

***** Eva Ackstaller: Rationales Herdenverhalten im Licht der Marktversagenstheorie. Europäischer Verlag der Wissenschaften, Peter Lang GmbH, Frankfurt am Main 2005
****** der Begriff ist frei erfunden

 

Question                                          True value

1. Population density of Switzerland       184

2. Border length, Switzerland/Italy         734

3. New immigrants to Zurich             10,067

4. Murders, 2006, Switzerland               198

5. Rapes, 2006, Switzerland                  639

6. Assaults, 2006, Switzerland            9,272

Hier können Sie den Verfasser gerne kontaktieren: günther.moosbauer@securitykag.at

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