Europa im Dornröschenschlaf – wach endlich auf!

19. Mär 2018 | Blog

VON Alfred Kober

Betrachten wir die Dynamik an der Zusammensetzung der Kapitalmärkte und im Speziellen der Aktienbörsen, so sind erhebliche regionale Unterschiede festzustellen. Das mag einerseits kulturell und andererseits auch durch die unterschiedlichen Wirtschaftssysteme bedingt sein. Offene und marktwirtschaftlich orientierte Volkswirtschaften sollten dabei eine höhere Dynamik aufweisen als eher geschlossene Systeme. Diese Hypothese wird recht gut durch die Zusammensetzung bzw. den Änderungen von Aktienindizes bestätigt. Während sich europäische Indexportfolios sehr langsam ändern, ist die Dynamik in US-Aktienindexkörben eine wesentlich höhere. Erstaunlich ist, dass im Laufe von 10 Jahren knapp die Hälfte der US-Titel durch Übernahmen, Zusammenschlüsse oder auch durch ein starkes Schrumpfen des Börsenwertes im Indexportfolio (MSCI US Index) ersetzt wurden. Im Euroraum liegt dieser Wert bei deutlich unter einem Drittel und damit merklich darunter.


Das Zulassen der schöpferischen/kreativen Zerstörung frei nach Schumpeter stellt dabei den Rahmen und die Basis für Innovationen und für die vielen Schritte nach vorne dar, auf dem unser gegenwärtiges Wohlstandshoch aufbaut. Der Stärkere verdrängt den Schwächeren – das ist wohl die ungemütliche Kehrseite der Medaille. In unterschiedlichem Ausmaß sind wir alle von dieser Schattenseite betroffen. Industrie 4.0, Plattformtechnologien, Elektrifizierung, Internet of Things und vieles mehr – das Potpourri ist vielfältig.


Veränderung verängstigt, eine nicht sonderlich neue Feststellung. Dass Veränderungen auch Chancen mit sich ziehen und wir uns diesen Herausforderungen auch im positiven Sinne stellen können, wird jedoch vielfach negiert. „Gründungslust der Österreicher sinkt“, die Headline eines in diesem Moment eingetrudelten Emails passt exakt zum Thema dieses Blogs. Leider beschränkt sich dieses Phänomen nicht nur auf unser Land, sondern mittlerweile auf den gesamten Kontinent.


Während der europäische Konjunkturmotor auf Hochtouren läuft, sich die Beschäftigung sehr gut darstellt, bestechen aus Investorensicht europäische Aktiengesellschaften durch attraktive Dividendenrenditen, günstigere Bewertungen, weitaus guter Bilanzqualität und hoher Effizienz. Warum sonst halten institutionelle Investoren, wie Warren Buffett oder Private Equity Fonds, verstärkt Ausschau nach Übernahmezielen in Europa. Als fester Bestandteil unseres Wirtschaftssystems ist an M&A Aktivitäten nichts einzuwenden. Nachdenklich stimmt mich die Langfristperspektive im Zusammenhang mit dem Unternehmensnachwuchs. Nicht nur die Börse Wien zeichnet sich eher durch Börsenabgänge als durch Neuzugänge aus – es ist ein weit verbreitetes Phänomen, zumindest hier in Europa.
An diesem Zustand wird sich in den kommenden Jahren auch wenig ändern. Global haben es im vergangenen Jahr 57 neue Unternehmen geschafft, die Hürde des theoretischen Unternehmenswerts von 1 Mrd. USD zu übersteigen, immerhin der dritthöchste Wert seit 2004 (Abbildung 1).

 

Abbildung 1: Club der Einhörner

Quelle: Visual Capitalist/Pitch Book

 

Start-Ups dieser Größe werden in Fachkreisen als „Unicorns“, also als Einhörner bezeichnet und gelten als potentielle Börsenkandidaten. So reihten sich in den letzten Jahren auch sehr bekannte und mittlerweile börsengelistete Organisationen wie Facebook, Linkedin, SnapChat, Tesla etc. in diesen exklusiven Club ein. Abbildung 1 zeigt, dass die Pipeline der potentiellen und innovativen Börsenkandidaten recht gut gefüllt ist. Auch wenn mir wenige der Unternehmen geläufig sind, versprechen die Bewertungen, dass diese Organisationen den Zeitgeist ziemlich gut treffen und uns in den künftigen Jahren mit Innovationen und neuen Geschäftsmodellen versorgen werden (Abbildung 2).

 

Abbildung 2: Die neuen „Einhörner“ 2017

Quelle: Visual Capitalist/ Pitch Book

 

Im Zuge potentieller Börsengänge und Kapitalaufstockungen wird diesen Unternehmen massiv Kapital zur betrieblichen Wertschöpfung zufließen. Die Wertschöpfung umschließt Zahlungen an Investoren (Zinsen, Dividenden), an Arbeitnehmer (Gehälter/Löhne) sowie an den Staat im Zuge des Errichtens von Steuern. Wer die Aufstellung näher betrachtet, stellt auch recht schnell fest, dass die Liste der Neuzugänge im vergangenen Jahr von US-amerikanischen sowie chinesischen Unternehmen dominiert wird.

 

Kontinentaleuropäische Gesellschaften sind nicht präsent, jedoch vier britische Gesellschaften. Während Europa bereits die technologische Revolution verschlafen und dabei das Feld weitestgehend unseren US-Freunden überlassen hat, sind wir drauf und dran den Zug zum wiederholten Male zu verpassen.
Wir wundern uns hierzulande über den fehlenden Geist zum Unternehmertum, verfügen wir doch über sehr gute Bildungseinrichtungen. Die Transformation in ökonomische Wertschöpfung erstickt jedoch in der Kombination aus mühseligem Zugang zu Kapital und Überregulierung. Die gesetzten homöopathischen Bemühungen von privater Seite verdampfen doch wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Innovationslokomotive schreitet unterdessen voran, wohl wieder einmal ohne den „Alten Kontinent“. Viele der in Abbildung 2 angeführten Unternehmen werden verschwinden, das ist klar. Einige wenige werden hingegen prosperieren, zu sehr großen Organisationen heranwachsen und uns in den kommenden Jahren mit ihren Produkten und Dienstleistungen das Leben bereichern.


Verstehen sie mich bitte nicht falsch. Bei meinen Ausführungen spreche ich das Abschöpfen der Innovationsprämie an – auch traditionell ausgerichtete Unternehmen innovieren und entwickeln sich. Oder andersrum gedacht, wie viele etablierte europäische Technologiekonzerne außer SAP, ASML, Infineon und eine Hand voll mehr kennen sie? Uns geht es doch auch so recht gut, nicht? Bemerkenswert ist, wie beharrlich und betont Asien mittlerweile am Parkett der Kapitalmärkte auftritt und selbst der USA, traditionell ein Magnet für Kapital und Risikoinvestment in innovative Geschäftsmodelle, immer stärker zusetzt – die Vormachtstellung ist definitiv im Schrumpfen begriffen. Und Europa? Europa ist in diesem Wettrennen bereits in der Bedeutungslosigkeit versunken und schläft seinen Dornröschenschlaf – schade, hätte es doch so viel Potential.

 

Hier können Sie den Verfasser gerne kontaktieren: alfred.kober@securitykag.at

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