Von Schanghai auf die Alm und zurück

15. Mär 2019 | Blog

VON Christina Kirisits

In China laufen derzeit 43 Pilotprojekte zum Aufbau eines „Sozialkredit-Bewertungssystems“, wobei bereits 2014 in den ersten Kleinstädten damit begonnen wurde, mittels großzügig installierter Drohnen und Kameras die Bürger im öffentlichen Raum zu kontrollieren und etwaiges Fehlverhalten zu sanktionieren: Wer im Zug raucht, erhält Punkteabzüge auf seinem „Social Credit“ Konto und kann ein halbes Jahr lang für die Buchung von Flügen und Bahnfahrten gesperrt werden. Doch ist dies erst der Anfang der geplanten totalen digitalen Sozialkontrolle. In der letzten Ausbaustufe dieses ambitionierten Projekts stehen Minuspunkte nicht nur für regierungskritische Äußerungen (no na!) und Kaugummi-unter-Bussitze-kleben sondern auch für die Vernachlässigung der eigenen Eltern sowie nicht bezahlte Kreditraten den möglichen Pluspunkten für Blut spenden, Altenpflege und Nachbarschaftshilfe gegenüber. Die FAZ hat dazu eine anschauliche Darstellung veröffentlicht (Artikel lesen).

 

Ganz im Sinne des „Zuckerbrot und Peitsche“-Denkens gehen die Konsequenzen aus einem niedrigen bzw. hohen Score deutlich über ein konventionelles Straf- und Belohnungssystem hinaus: Die Aussicht auf einerseits z.B. die eingangs erwähnte Sperre für den öffentlichen Verkehr und die Verweigerung von Krediten bis hin zur öffentlichen Anprangerung der „Vergehen“ und andererseits Goodies wie kürzeren Wartezeiten in Krankenhäusern und auf die Zuteilung einer Gemeindewohnungen sowie schnelleren Beförderungen soll die Bevölkerung in die gewünschte Richtung steuern.

 

Die zur Berechnung des persönlichen Scores notwendigen Daten stammen einerseits aus den schon seit jeher von den chinesischen Behörden fleißig gesammelten Informationen über ihre Bürger, andererseits eröffnen die digitalen Datenquellen in Kombination mit umfassender Videoüberwachung ungeahnte Möglichkeiten der Kontrolle. Weiters erlangt überall dort, wo die digitale Kontrolle (derzeit noch) an ihre Grenzen stößt, das schon bisher v.a. für die Aufrechterhaltung des politischen Drucks ausgeprägte Beschwerdewesen und Denunziantentum eine neue Dimension: Kann man sich in Zukunft nicht mehr nur über das schlechte Service eines Amtes beschweren, sondern auch über die mangelnde Fürsorge von Angehörigen gegenüber ihren pflegebedürftigen Verwandten? Oder Kinder über ihre Eltern, die es am Sammeln von Pluspunkten zu wünschen übrig lassen und damit ihren Kindern den Zugang zur Privatschule verwehren?

 

Dies lässt erahnen, wohin dieses System führen kann und man fragt sich, warum nicht mehr Chinesen dagegen protestieren bzw. warum es auch in Europa inzwischen so viele Befürworter gibt. Was die Chinesen angeht, so ist ja die wirtschaftliche Öffnung des Landes nicht mit einer entsprechenden politischen Liberalisierung einhergegangen, sodass das Social Credit System vielfach nur eine Erweiterung der bisher schon gewohnten staatlichen Kontrolle bedeutet. Außerdem sollte man ja meinen, dass diese Hinführung zu korrektem politischen, finanziellen, sozialen und moralischen Verhalten sowohl dem Einzelnen als auch der Allgemeinheit zu Gute kommt, ja ein geordnetes Zusammenleben eindeutig verbessert, v.a. in einem Land mit 1,4 Mrd. Einwohnern.

 

Die Zustimmung in Europa kommt aus der Frustration darüber, dass viele bisher als allgemein gültige Regeln und Werte, aber auch Gesetze, nicht mehr nur von ein paar schwarzen Schafen gebrochen, sondern aus einem gewissen egozentrischen Freiheits- und Selbstverwirklichungsgedanken heraus grundsätzlich in Frage gestellt und ignoriert werden. Egal ob es sich um Rauchverbote oder grundsätzliche Höflichkeit und Rücksichtnahme handelt. Aber statt der Erkenntnis, dass insbesondere Rücksichtnahme in unserer heutigen Welt, wo wir auf viel engerem Raum zusammenleben und in jeder Hinsicht näher zusammenrücken (ob wir wollen oder nicht), eigentlich noch wichtiger wäre als früher, macht sich noch mangelndes Unrechtsbewusstsein gepaart mit fehlender Bereitschaft, Eigenverantwortung zu übernehmen, breit (Kant würde sich ob dieser Kombination von „Ich will frei sein, aber keine Verantwortung für mein Handeln übernehmen“ im Grab umdrehen!). Das führt mich jetzt auf die Tiroler Alm und zum bemerkenswerten „Kuh-Urteil“. In den 80er Jahren konnte man mit Bernhardinerhund auf der Alm quer durch Kuhherden wandern und maximal neugierig beäugt werden. Das hat sich durch die verstärkte- und meiner Meinung nach absolut begrüßenswerte- Mutterkuhhaltung verändert. Dann muss man aber als Wanderer, insbesondere mit Hund, sein Verhalten diesen Gegebenheiten anpassen. Man kann nicht einerseits glückliche Kühe mit glücklichen Kälbern haben und andererseits als Wanderer sich überall ohne Einschränkung bewegen wollen: You can’t have the cake and eat it.

 

Wenn die allgemeine Übereinkunft in Bezug auf dem Christentum und der Aufklärung unser aufbauendes Wertesystem wackelt, muss dieses stattdessen durch immer weiterreichende Gesetze und Kontrollen „geschützt“ werden?!- womit wir wieder bei China wären. Wollen wir das wirklich, mit allen damit verbundenen Konsequenzen (You can’t have the cake...schon jetzt ist es in Singapur verboten, nackt in der Wohnung herumzulaufen, nur um ein weiteres plakatives Beispiel zu nennen)?

 

In manchen Punkten mögen Gesetze und Kontrollen als „Ersatz“ Sinn machen, weil sonst das künftige friedliche Zusammenleben von uns allen gefährdet wäre. Und auch, wenn das Hinterfragen und Prüfen unseres Wertekatalogs absolut notwendig und legitim ist, so wollen wir doch hoffen, dass es nicht soweit kommt, dass man nur deshalb Rücksicht auf seine Mitmenschen nimmt oder seine Eltern im Altersheim besucht, weil man überwacht wird und bei Nichteinhaltung mit Strafen zu rechnen hat, sondern weil es ein ehrliches, menschliches und moralisches Bedürfnis ist.

 

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