Annäherung an die Wahrheit in all ihren Schattierungen

12. Mär 2021 | Blog

VON Christina Kirisits

Mit diesem Blog möchte ich mit einigen weiteren Gedanken an meinen Beitrag von vor einem Jahr über die Meinungsfreiheit anschließen, den ich einen Tag vor dem 1. Lockdown geschrieben habe. Damals nichts ahnend, was auf uns in den folgenden Monaten zukommen sollte, mit Ereignissen, die die Beispiele, auf die ich mich bezogen habe, in mehrfacher Hinsicht getoppt haben.

 

Der Begriff der „Wahrheit“ beschäftigt uns jetzt seit mehr als 2.000 Jahren, unzählige Philosophen, Wissenschaftler, Politiker und jeder einzelne von uns arbeitet sich in irgendeiner Form daran ab und zurzeit scheint es schwieriger denn je, „Wahrheit“ zu finden. Das Internet versorgt uns zuverlässig mit einer Unmenge an Informationen und „Wahrheiten“, für jeden scheint etwas dabei zu sein und bisher für wahr Gehaltenes, da in Schulbüchern Gelerntes, wird mit einem Tweet über den Haufen geworfen- man nehme nur die österreichischen „Waldstädte“.

 

Die ständige Suche nach Wahrheit(en) rührt doch vor allem aus unserem menschlichen Bedürfnis nach Sicherheit, nach einem im besten Fall unumstößlichen Rahmen, der einen die existenziellen Widrigkeiten und Unsicherheiten des Lebens zumindest leichter bewältigen lässt.

Doch sogar unser eigenes Denken scheint uns dabei oft nur vordergründig behilflich zu sein: Daniel Kahnemann stellt in seinem sehr interessanten Buch „Schnelles Denken, Langsames Denken“ die These auf, dass unser Denken von zwei kognitiven Systemen gesteuert wird. System 2 ist der Teil, der bewusst und logisch denkt, kontrolliert handelt und entscheidet. In System 1 entstehen   spontan die Eindrücke und Gefühle, die die Hauptquellen der Überzeugungen und bewussten Entscheidungen von System 2 sind. 

Beide Systeme sind immer aktiv, wobei eben System 1 ständig Vorschläge für System 2 in Form von Eindrücken, Absichten und Gefühlen generiert.  Wenn diese von System 2 unterstützt werden, so werden sie zu Überzeugungen, und Impulse zu bewusst gesetzten Handlungen. Im Normalfall wird System 2 die Vorschläge von System 1 ohne größere Modifikation übernehmen. Taucht allerdings eine Frage auf, wie z.B. eine schwierigere Multiplikation, für die System 1 keine (schnelle) Antwort bereithält, wird es System 2 mobilisieren. Die Arbeitsteilung zwischen den beiden Systemen ist effizient, weil System 1 im Allgemeinen aufgrund seines Erfahrungsschatzes sehr zuverlässig werkt und für den Großteil der täglichen Anforderungen angemessene Reaktionen bereithält, ohne dass System 2 dahinter überhaupt gefragt werden muss. 

Soweit so gut. Das Spannende an Kahnemanns angeführten Beispielen ist aber, in welchem Ausmaß  System 1  unser System 2 „austrickst“, und uns trotzdem das Gefühl vermittelt, logisch und rational zu entscheiden: Auch wenn uns ein Mehr an Informationen eigentlich bei einer Entscheidungsfindung helfen sollte, neigt unser System 1 dazu, diese nicht automatisch an System 2 weiter zu leiten, sondern diese bis zu einem gewissen Grad zu filtern und eine konsistente Geschichte zu erzeugen, die auch System 2 überzeugt. Kahnemann nennt dieses Prinzip „What you see is all there is“, das zwar in den meisten Fällen zielführende, adäquate Handlungen unterstützt, aber auch zu einer Reihe von Urteils- und Entscheidungsfehlern, unter anderem im Finanzbereich (Selbstüberschätzung) führt, wie Kahnemanns Beispiele zeigen.

Oft ist einfach ein Mangel an Zeit und Aufmerksamkeit dafür verantwortlich, dass wir der Bestätigungstendenz von System 1 nachgeben, ohne dass System 2 die Überprüfung einfordert. Das heißt: Wahrheitsfindung ist anstrengend!

 

Auch wenn es aus evolutionärer Sicht Sinn macht, nicht ständig alles zu hinterfragen, so könnten wir es uns doch oft nicht ganz so bequem machen, und die einfachen Antworten unseres Systems 1 nicht so widerstandslos zu akzeptieren. Wobei sich seit jeher die Produzenten von Informationen diese Funktionsweise unseres Denkens zunutze machen, und je unsicherer die Zeiten, wie es auch momentan der Fall ist, umso besser bleiben die einfachen, weil kohärenten, Geschichten hängen. Wobei heutzutage noch dazu kommt, dass die sozialen Medien eine so schnelle und weite Verbreitung- und auch Resonanz- ermöglichen wie nie zuvor. Die breite Bühne, die jemandem wie dem Urheber der „Waldstädte“ oder auch Verschwörungstheoretikern geboten wird, macht es einem selbst nicht immer leicht, Informationen in Ruhe zu filtern, zu überprüfen, zu „Wahrheiten“ zu finden und diese auch gegebenenfalls zu revidieren.

Auch wer Wahrheit beansprucht, kann sich belehren lassen, andere Meinungen tolerieren und sich selbst nicht sicher sein. Es ist vermutlich das Schwierigste daran, zu akzeptieren, dass wir es auch durch das Festklammern an „unserer“ Wahrheit, nicht schaffen, die vorhandene Unsicherheit der Welt zu beseitigen. Umso bedenklicher ist es daher meiner Meinung nach, wenn sich private Konzerne zu „Hütern der Wahrheit“ aufschwingen und die Informationskontrolle übernehmen- so abstrus die „Waldstädte“ und die damit einhergehenden explodierenden Bäume bzw. der Sturm aufs Kapitol auch sein mögen. Das ist schon auf staatlicher Ebene mit besonderer Vorsicht zu genießen.

Damit ist nun auch die Brücke zu meinem Beitrag über Meinungsfreiheit geschlagen und ich möchte noch mit der von mir sehr geschätzten Ingeborg Bachmann schließen: „Was wahr ist, streut nicht Sand in deine Augen!“- Die Augen offen zu halten und immer wieder die Komfortzone zu verlassen kann helfen. 

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