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02. Oktober 2025
Wenn Zinsen Wachstum fressen: Staatsverschuldung am Wendepunkt
Die Diskussion um die Tragfähigkeit staatlicher Schulden ist ein Dauerbrenner und gewinnt angesichts steigender Renditen und nachlassender Wachstumsdynamik neue Brisanz. Einer der Schlüsselindikatoren dabei ist die Differenz zwischen den Refinanzierungskosten (Rendite) eines Staates und des nominalem BIP-Wachstums, was auch als „r-g Differenz“ bezeichnet wird.
Denn solange die Renditen unter den nominalen Wachstumsraten liegen, ergibt sich ein struktureller Rückenwind für die Entschuldung: Steigende Steuereinnahmen und ein „verwässernder“ Inflationseffekt lassen die Schuldenquote sinken. Dreht sich das Verhältnis jedoch um – also Renditen > nominales Wachstum – wird es ungemütlich. Die Schuldentragfähigkeit gerät dann in strukturellen Gegenwind.
Natürlich gibt es noch weitere wichtige Aspekte, die im Kontext der Schuldentragfähigkeit von Relevanz sind. Hier wären u.a. die Laufzeitenstruktur der Anleihen (nicht alle Schulden müssen sofort zum aktuellen Marktzins refinanziert werden) und die Primärsalden (Budgetüberschuss oder Defizit) zu nennen. Diese Aspekte sollen im vorliegenden Blog jedoch bewusst ausgeklammert werden.
Historische Normalität: Rückenwind durch Wachstum
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Differenz in den großen entwickelten Volkswirtschaften stabil negativ war.
- USA und Deutschland: Seit Jahrzehnten bewegt sich die Lücke im Mittel bei rund -2,5 Prozentpunkten – ein komfortabler Puffer, der selbst in Phasen höherer Verschuldung für Entlastung sorgte.
- Japan: Hier fällt der Puffer mit durchschnittlich -1 Prozentpunkt kleiner aus, was zur bekannten Dauerproblematik einer hohen Verschuldung beiträgt.
Abbildung: Rendite 10y vs. BIP-Wachstum (nom.); 2010 – 2025

Kurzfristige Ausreißer gab es immer wieder – zuletzt in der Pandemie: Das nominale Wachstum brach ein, während die Finanzierungskosten nicht im selben Ausmaß fielen. Das Ergebnis: ein klar positiver Wert. Danach drehte sich das Bild schlagartig. Nachholeffekte in der Realwirtschaft und ein kräftiger Inflationsschub ließen das nominale Wachstum sprunghaft steigen, während die Renditen zunächst verhalten reagierten.
Die Gegenwart: Spielraum schmilzt
Heute stellt sich die Lage allerdings differenzierter dar:
- USA und Deutschland: Der Puffer schmilzt rapide. Steigende Renditen bei gleichzeitig abflauendem nominalen Wachstum (wenig Dynamik, rückläufige Inflation) drücken die Differenz Richtung null. Der Rückenwind für die Entschuldung ist praktisch verschwunden.
- Japan: Überraschenderweise dreht sich das Verhältnis leicht ins Negative. Zwar steigen auch hier die Renditen, doch das nominale Wachstum zieht stärker an – getrieben von Inflation und vorsichtiger Belebung der Wirtschaft.
Einordnung: Der Kipppunkt naht
Die r–g-Differenz ist kein akademisches Gedankenspiel, sondern ein harter Gradmesser für fiskalischen Handlungsspielraum. Solange sie negativ bleibt, können Staaten ihre Schuldenquote stabilisieren, selbst ohne große Primärüberschüsse. Wird sie jedoch dauerhaft positiv, verschärft sich der Konsolidierungsdruck.
Gerade für die USA und Deutschland bedeutet die aktuelle Entwicklung: Die kostenlose Schuldenparty der letzten 15 Jahre ist vorbei. Die Zeiten, in denen man sich mit niedrigen Zinsen aus jeder Krise herausfinanzieren konnte, neigen sich dem Ende zu. Japan dagegen könnte paradoxerweise vom späten Inflationsschub profitieren – zumindest temporär.
Fazit
Die Analyse zeigt: Der strukturelle Rückenwind für die Staatsfinanzen ist im Begriff zu verschwinden. In Europa und den USA droht die r–g-Differenz ins Positive zu drehen, während Japan ausgerechnet jetzt etwas Luft gewinnt. Für Investoren und politische Entscheidungsträger ist dies mehr als eine akademische Kennzahl: Es ist die stille Verschiebung im Fundament der Fiskalpolitik.
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