
Blog
15. September 2023
Indien und China: Zwei Giganten im wirtschaftlichen Wandel
Chinas Wirtschaft sieht sich derzeit mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, darunter der Einbruch im Immobiliensektor, rückläufige Exporte und angespannte Beziehungen zum Westen unter der Führung der USA. Obwohl die chinesische Wirtschaft im Spätsommer nach Monaten schwachen Wachstums leichte Anzeichen einer Besserung zeigte, richten viele Emerging Markets Investoren ihren Blick bereits auf Indien. Indien wird oft als aufstrebende Wirtschaftsmacht betrachtet, die möglicherweise in Zukunft zu einem starken demokratischen Gegengewicht in Asien heranwachsen könnte. Dennoch steht Indien auch noch einige Herausforderungen bevor. Derzeit scheint jedoch das Momentum im Vergleich beider Länder in Indien günstiger zu sein.
Chinas Bevölkerung ist erstmals seit Mitte des 18. Jahrhunderts nicht mehr die größte der Welt. Laut den Vereinten Nationen übertraf Indien im ersten Halbjahr 2023 mit 1,425 Milliarden Einwohnern China. Indien muss jedoch seine Bevölkerung besser ausbilden und seine Wirtschaft weiter industrialisieren. Gleichzeitig muss sein politisches System flexibel genug sein, um den demografischen Herausforderungen gerecht zu werden, darunter die Einkommensunterschiede zwischen Gebildeten und Analphabeten, wie jetzt das Kastensystem politisch in Indien umschrieben wird, sowie zwischen relativ wohlhabenden Küstenstaaten und ärmeren, aber bevölkerungsreichen Bundesstaaten, in denen ausschließlich Hindi gesprochen wird.
Indiens junge Bevölkerung könnte aber dem Land einen Vorteil gegenüber China verschaffen, der jahrzehntelang gegeben war. China steht bereits vor dem Problem einer alternden Bevölkerung, während die Vereinten Nationen prognostizieren, dass Indiens Bevölkerung erst im Jahr 2064 mit 1,7 Milliarden Menschen ihren Höchststand erreichen wird. Dies bedeutet, dass China alt wird, bevor es reich wird, während Indien noch Zeit hat, reich zu werden, bevor es alt wird. Der durchschnittliche Chinese ist mit 39 Jahren bereits ein Jahrzehnt älter als der durchschnittliche Inder. Die einstige Ein-Kind-Politik Chinas führt dazu, dass viele Chinesen das „4-2-1-Problem“ haben, bei dem ein einzelner Erwachsener sich um zwei alternde Eltern und vier Großeltern kümmern muss.
Seit Beginn der Wirtschaftsreformen im Jahr 1991 hat Indien Fortschritte bei der Reduzierung der extremen Armut gemacht. Laut der Weltbank lebten 2019 nur noch etwa 10 % der Inder – etwa 138 Millionen Menschen – von weniger als 2,15 USD pro Tag. Hätte Indien die Armutsrate von 1987 beibehalten, wären es 700 Millionen Menschen gewesen – mehr als die Hälfte der Bevölkerung. 2022 überholte Indien das Vereinigte Königreich und wurde zur fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt. Die State Bank of India schätzt, dass Indien bis 2029 die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt – und somit größer als Deutschland – sein wird.
Dennoch bleibt Indien in absoluten Zahlen immer noch wesentlich ärmer als China. In den frühen 1990er Jahren hatten beide Länder etwa das gleiche Pro-Kopf-Jahreseinkommen von etwa 300 bis 400 USD. Der Unterschied ist heute erheblich, mit einem Pro-Kopf-Einkommen von rund 13.000 USD in China im Vergleich zu etwa 2.400 USD in Indien.

Der Optimismus gegenüber Indien beruht zum großen Teil auf der sogenannten „demografischen Dividende“. In Indien wächst die erwerbstätige Bevölkerung schneller als die Gesamtbevölkerung, was zu höheren Spar- und Investitionsraten sowie zu schnellerem Wirtschaftswachstum führen könnte. Südkorea und Taiwan sind Beispiele für asiatische Länder, die den Übergang von Armut zu Wohlstand rasch vollzogen haben.
Allerdings können in Indien immer noch nur etwa drei Viertel der Bevölkerung lesen und schreiben. Darüber hinaus liegt die Erwerbstätigkeitsquote von Frauen in Indien bei knapp einem Viertel, während sie in China bereits bei über 60 % liegt, vergleichbar mit den USA und anderen wohlhabenden Ländern. Mehr als zwei Drittel der Chinesen leben in Städten, was tendenziell die Produktivität steigert, während Indien nach wie vor überwiegend ländlich geprägt ist, wobei nur etwa ein Drittel der Bevölkerung in Städten lebt. Fast die Hälfte der Inder lebt von kleinen Familienbauernhöfen, im Vergleich zu nur etwa 25 % der Chinesen und 1 % der Amerikaner.
Auf der positiven Seite gibt es in Indien enormes Potenzial zur Verbesserung. Die „Make in India“-Initiative soll den Anteil des verarbeitenden Gewerbes am indischen Bruttoinlandsprodukt erhöhen, der derzeit bei knapp 15 % liegt. Wenn das Land die richtigen Schritte unternimmt, könnte es über Jahrzehnte hinweg kräftig wachsen. Doch um aufzuholen, stehen Indien noch ein langer Weg und zahlreiche Reformen bevor.
Risikohinweis
Die Security BLOGS stellen lediglich die persönliche Meinung des Verfassers im Erstellungszeitpunkt und daher nicht die Meinung des Medieninhabers dar. Eine Haftung für diese Aussagen kann vom Medieninhaber ausdrücklich nicht übernommen werden.
Weitere InformationenWeitere Artikel des Autoren
Sicherheit
faktenbasiert.