Blog

22. Dezember 2025

Zwischen Logik und Euphorie: Warum an der Börse alles möglich ist – auch das Gegenteil

Die letzten Tage im Jahr verstreichen, die Aktivität und Liquidität an den Märkten geht spürbar zurück und das Mail-Fach ist voll mit Weihnachtsgrüßen, Jahres-Rückblicken und Forecasts für das neue Jahr. Wie so oft sind Prognosen schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen – das wusste schon Mark Twain lange bevor Trump zum Präsidenten (wieder)gewählt wurde. Doch wer die Zukunft meistern will, muss die Vergangenheit analysieren. Ein Blick zurück auf ein Jahr, das die Lehrbücher der Ökonomie und zweifelsohne jeden Jahresausblick aus 2024 auf die Probe stellte.

Geopolitik als Systemschock

Im April materialisierte sich ein klassisches Tail-Risk-Szenario. Die plötzliche Einführung von US-Zöllen offenbarte nicht nur die Fragilität globaler Lieferketten, sondern zeigte auch eindrucksvoll, dass Fat-Tails (extreme Ereignisse an den Rändern der Wahrscheinlichkeitsverteilung) realer sind als jedes Risikomodell der Banken.

Ein Markteinbruch von fast 10 % (S&P 500/Nasdaq) innerhalb von 48 Stunden war keine bloße Korrektur, sondern eine fundamentale Neubewertung des geopolitischen Risikos. Zwar erholten sich die Indizes nominell bis Juni, doch wurde das Vertrauen in den freien Handel durch den politischen Interventionismus strukturell beschädigt. Somit erleben wir die Renaissance des Merkantilismus – eine Wirtschaftsform aus dem 16. Jahrhundert in welcher die Steigerung des Reichtums eines Staates durch eine hohe Zahl an Exporten und geringen Importen getrieben wird. Die USA verfolgen eine aggressive Standortpolitik („America First“), während Europa sich weiterhin in bürokratischen Lieferkettengesetzen und Taxonomien verheddert. Washington schafft (bzw. erfindet) Fakten, Brüssel verzettelt sich und findet keinen Konsens.

Entkoppelung der Märkte

Die Ära der synchronisierten Zentralbankpolitik ist seit Jahresbeginn beendet. Während die EZB aus Rezessionsangst viermal lockerte, reagierte die Fed erst spät im September. Die ökonomische Logik hätte einen stärkeren Dollar und bessere Euro-Anleihen diktiert. Die Realität? Das Gegenteil. US-Renditen fielen, Euro-Renditen stiegen, der Dollar wertete abrupt ab. Die Lehre: Sentiment schlägt Fundamental­daten. Die Märkte entkoppeln sich von der Realwirtschaft. Wir sehen Rekordstände an den Börsen bei gleichzeitig schwächelndem BIP-Wachstum in den westlichen Industrienationen. Eine gefährliche Divergenz, die an das Phänomen des „irrationalen Überschwangs“ erinnert.

Besonders deutlich wird dies in der „stillen Rezession“ Deutschlands und Österreichs. Dass eine prognostizierte Wachstumsrate von lediglich 0,9 % (2026) bereits als Wendepunkt gefeiert wird, offenbart das Ausmaß der Misere. Eine Prognose, die nicht nur deutlich unter Eurozone liegt, sondern auch die aktuellen Schwächen der heimischen Wirtschaft und die Deindustrialisierung offenlegt. Die verfehlte Energiepolitik, sinkende Produktivität und ein unrühmlicher Spitzenplatz bei den Lohnstückkosten und anhaltend hohe Inflation lassen aktuell wenig Grund für Optimismus zu. Dass die Demografie den Arbeitsmarkt zwar aktuell stützt, aber das Pensionssystem ins Wanken bringt, ist die nächste ungelöste Rechenaufgabe.

Goldgräberstimmung

Parallel zur Aktienrallye erlebte Gold einen historischen Aufschwung. Gold wurde nicht nur seiner Rolle als „Safe-Haven“ Asset im Zuge der Turbulenzen im April gerecht, sondern entwickelte sich vor allem im Herbst zur besten Assetklasse 2025 mit einer Wertentwicklung von über 65%. Aktuell notiert der Spot Preis bei ca. 4.300 $ / Unze, was sicherlich sehr vielen Gold-Investoren eine Freude bereiten wird. Die größte Freude über die heurige Rohstoff-Rallye werden aber sicher die Betreiber von Gold-Minen haben, da die All-In Produktionskosten für eine Unze Gold, trotz Kursexplosion, nur 1.600$ betragen. Gold-Anleger sind also aktuell bereit, mehr als den 2,5fachen Preis des fairen, tatsächlichen Preises zu bezahlen. Vor 10 Jahren, betrag der Abstand zwischen Produktions- und Marktpreis nur 5%. Eine derartige Diskrepanz zwischen Marktpreis und innerem Wert ist historisch selten nachhaltig.

Passend zum Thema Irrationalität ist nicht nur das tatsächliche Gold zwischenzeitlich auf ein Rekordwert gestiegen, auch das digitale Gold – Bitcoin, erreichte fast zeitgleich mit Gold ebenfalls ein neues Allzeithoch. Nur um dann in den folgenden 30 Tagen um mehr als 30% im Wert zu verlieren. Auch auf Jahressicht ist der Bitcoinkurs um ca. 9% gefallen und ist somit im Vergleich zu den traditionellen Anlageklassen deutlich hinter den Erwartungen geblieben. Doch die größte Konstante bei Bitcoin ist vermutlich die Volatilität und so ist auch nicht auszuschließen, dass sich dennoch der Kurs innerhalb kürzester Zeit wieder verdoppeln kann. Hilfreich wäre beispielsweise ein krypto-freundliches Staatsoberhaupt, welches auch großes persönliches eigenes Interesse an einer positiven Wertentwicklung hat. Somit ist und bleibt Bitcoin mehr ein Spekulations- als ein Investitionsobjekt, dessen Wertentwicklung mehr von Hoffnung als von ökonomischem Nutzen getrieben wird.

Zwischen Hype und Gesetzmäßigkeit

Reicher sind dieses Jahr auch alle Menschen geworden, die den KI-Boom frühzeitig erkannt haben. Die Zahlen von Nvidia, Alphabet und Konsorten füllten bereits zahlreiche Schlagzeilen und die Meinungen über zukünftige Entwicklungen gehen bekanntermaßen sehr weit auseinander. Hier greift Amara’s Gesetz: Wir überschätzen die kurzfristigen Folgen technologischen Wandels und unterschätzen die langfristigen. Diese Beobachtung schützt Investoren allerdings nicht vor stärkeren Kurskorrekturen, welche anhand der Volatilität und Erwartungshaltung einzelner Unternehmen nicht auszuschließen, ja sogar in gewissen Maßen, für eine gesunde Entwicklung und Reifeprozess innerhalb des Zyklus notwendig ist.

Ein echtes Warnsignal für Blasen ist für mich jedoch erst dann erreicht, wenn massives Kapital in Bereiche fließt, in denen niemand mit realen Verlustrisiken rechnet. Es gibt laufend Korrekturen und Skeptiker die sowohl den KI-Boom als auch Kryptowährungen genau beobachten und so zur fairen Preisfindung beitragen. Aktuell gibt es in meinen Augen andere Bereiche, in denen eine Blasenbildung wahrscheinlicher ist.

Angesichts dieser Gemengelage ist eine seriöse Punkt-Prognose einzelner Assetklassen unmöglich. Wer behauptet, die kurzfristige Entwicklung präzise vorhersagen zu können, handelt unseriös und vergisst nur wenige Monate nach dem Liberation Day die Unvorhersehbarkeit und Tragweite geopolitischer Ereignisse.

Die Antwort auf diese Unsicherheit ist nicht die Jagd nach Meinungen, sondern die Ausrichtung an langfristigen Zielen. Je kürzer ein Anlageobjekt gehalten wird, desto schwieriger kann eine seriöse Ertragserwartung für diese ermittelt werden. Je länger der Investmenthorizont, desto stabiler die Anlageergebnisse.

Da nahezu alle risikotragenden Assetklassen nahe ihrer Allzeithochs notieren, ist jetzt der Zeitpunkt für eine kritische Evaluierung der Asset-Allocation:

  • Stimmen Investmenthorizont und Risikotragfähigkeit noch überein?
  • Welche Sicherungsmechanismen sind aktiv?

Anleihen verfügen aktuell über eine attraktive Basis-Verzinsung – je nach Risikoklasse zwischen 3 und 6% – allerdings ist hier eine gegenläufige Kursbewegung im Falle einer Börsenkorrektur auch nicht ausgemacht. Gerade in den letzten Jahren wiesen Anleihen und Aktien eine sehr hohe Korrelation in ihrem Kursverhalten auf. Das einzige Werkzeug welche in allen Marktphasen eine zwingend gegenläufige Kursbewegung zu Aktien aufweist, sind Derivate. Diese vermeintlich komplexen Instrumente gewinnen als strategischer Schutzschild massiv an Bedeutung. Als Sparring-Partner bietet die Security KAG hierfür die notwendige Expertise und die passenden Werkzeuge an.

Die Analyse der vergangenen Monate verdeutlicht die Notwendigkeit, bestehende Strategien kritisch zu hinterfragen. In der kommenden Woche folgt eine Fortsetzung dieser Übung. Der zweite Teil versucht den aktuellen Wissensstand zu bündeln und skizziert die wahrscheinlichsten ökonomischen Szenarien für das Jahr 2026, um eine fundierte Grundlage für künftige Investmententscheidungen zu bieten.

Stefan Donnerer
Anleihenfondsmanagement
Stefan Donnerer

Risikohinweis

Die Security BLOGS stellen lediglich die persönliche Meinung des Verfassers im Erstellungszeitpunkt und daher nicht die Meinung des Medieninhabers dar. Eine Haftung für diese Aussagen kann vom Medieninhaber ausdrücklich nicht übernommen werden.

Weitere Informationen

Weitere Artikel des Autoren

Blog
10. Juni 2025

The Art of the Deal

Zwischen geopolitischem Chaos, volatilen Märkten und wankendem Vertrauen in Leitwährungen, w …

Blog
23. Dez. 2024

Truthähne auf der Tanzfläche - was uns 2024 für das neue Jahr lehrt

Trotz globaler Spannungen erleben die Aktienmärkte zum Jahresende eine beeindruckende  …

Blog
19. Jan. 2024

Real Money oder Real Risk: Real Estates

Der Immobiliensektor steht derzeit besonders im Fokus, nicht nur in der breiten Öffentlichkeit  …

High Yield Bonds
Blog
18. Aug. 2023

High Yield Bonds und der Blick in die Zukunft

Mittlerweile befindet sich das Jahr 2023 auch im Schlussviertel und brachte doch …

Mit
Sicherheit
faktenbasiert.

Diese Website richtet sich primär an institutionelle öster­reichische Inves­toren und dient aus­schließlich zur Information unserer Anleger. Die Infor­mationen auf unserer Web­seite stellen kein Angebot zum Kauf oder Verkauf von Finanz­instru­menten oder für eine Anlage­beratung dar. Trotz Bemühungen unserer­seits, die Inhalte weitest­gehend für alle Ziel­­gruppen aufzu­bereiten, können sich Inhalte auf der Web­site befinden, die nicht für private Anleger geeignet sind.
Sollten Sie als Privat­­anleger weiter­führende Informationen benötigen, wenden Sie sich bitte an Ihren Berater.
Alle unsere Fonds sind in Österreich zum Vertrieb zugelassen. Jene Fonds, die auch zusätzlich in Deut­sch­land zuge­lassen sind, finden Sie unter Fonds Deutschland.

Bitte informieren Sie sich in den gesetzlichen Verkaufs­unterlagen, wie beispielsweise im Prospekt oder dem Basis­informationsblatt (kurz „BIB“ gültig ab 1.1.2023), bevor Sie eine end­gültige Anlage­entschei­dung treffen. Beachten Sie die allgemeinen Risiko­hinweise unter Risikohinweis sowie die individuellen Risiko­hinweise der Fonds laut Prospekt sowie bei nachhaltigen Fonds unter Nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungen.